"Das Schweigen der Farbe"

Marginalien zum Werk von Frederick Bunsen

Helge Bathelt, Kunsthistoriker, Kulturwissenschaftler

Tanzperformance in der St. Karl Borromäus Kirche Winnenden

Tanzperformance von Suzanne Lehrer

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"Reden ist Silber. Schweigen ist Gold." Volksweisheiten bezeichnen immer eine ganz eigene Qualität, der nach zu denken meist lohnt. Unser Leben beruht auf unserer Fähigkeit zu reden. Selbst ein Kaiser wartete vergeblich auf vielleicht hebräisch redende Säuglinge. Sie blieben sprachlos und starben.

Der Totalverlust von Sprache ist also tödlich. Geschwiegen werden kann dann und nur dann, wenn auch gesprochen wird. "Schweigen" wäre demnach eine Erscheinungsform von "Sprechen". "Schweigen" ist eine besondere kommunikative Qualität. Durch Schweigen kann auch geantwortet werden. So meint es auch unsere Volksweisheit und deshalb sprechen wir zum Beispiel auch von einem "beredten Schweigen". Wenn unser Gesprächspartner schweigt, dann teilt er uns damit etwas mit. Was er uns mitteilt haben wir selbst in Erfahrung zu bringen.

Vielleicht teilt er das, was wir gesagt haben, nicht mit uns. Vielleicht hat er dem von uns Gesagten nichts hinzuzufügen, d.h. er stimmt uns vollständig zu. Vielleicht hat er auch die Schwäche in dem von uns Gesagten erkannt und möchte sich gerade deshalb nicht mit uns auseinandersetzen. Das lateinische "Qui tacet, consentire videtur" beschreibt offensichtlich nur einen Aspekt des Schweigens. Schweigen wäre demnach abhängig vom situativen Kontext des zuvor Gesagten.

Was aber ist das "Schweigen der Farbe"? Nun, auch das Schweigen der Farbe hängt vom situativen Kontext des schon Gesagten ab, das ein Bewusstes, ein Gekanntes oder ein Suchendes genauso sein kann.

Das Schweigen der Farbe ist eine Antwort auf eine Frage, eine Feststellung, eine Empfindung, die von einem Betrachter ausgeht. Ein Schweigen der Farbe ist der Verweis auf Antworten, die der mit der Farbe kommunizierende Betrachter aus dieser Betrachtung selbst glaubt ableiten zu können. Im äußersten Fall kann ein solches Schweigen im Verzicht auf Farbe liegen, so wie das die nachmalerisch Abstrakten und ihre Nachfolger geleistet haben. Das Schweigen der Farbe beschreibt also ein unendlich weites Spektrum des beredt Angeeigneten.

Das Schweigen der Farbe bezeichnet vor allem eine besondere kommunikative Qualität von Farbverwendung und zwar eine solche, die einen Dialog zwischen Farbe und Betrachter am besten offen hält. Ein Verkehrsschild mit schwarzem Rand und einem roten Balken auf weißem Grund leistet eine solche kommunikative Offenheit nicht. Eine solche Offenheit ist aber ein Aufgabengebiet der Kunst. Die jeweilige Spezifik in der Verwendung der Farbe begrenzt oder erweitert den Dialog des Betrachters mit sich selbst. Die Kommunikation eines pastosen Farbauftrages wirkt sich anders aus als eine luftige Transparenz.

Die Kunst der schweigenden Farbe liegt in ihrer Mehrdeutigkeit: keineswegs in ihrer Beliebigkeit. Das Schweigen der Farbe ist eine Antwort auf eine noch nicht gestellte Frage bzw. auf einen schon vorhandenen subjektiven Gehalt, der durch das Schweigen der Farbe bewusst gemacht wird. Die Bezeichnung "Ohne Titel" verweist zum Beispiel auf ein solches Schweigen der Farbe. Genauso ein bloße Zeitangabe der Fertigung oder irgendein erfundener Namen.

Die Arbeiten von Frederick Bunsen beschäftigen sich mit der Förderung von Kommunikation durch "angeleitete Offenheit" also "Unbeliebigkeit". Im Schweigen der Farbe in seinen Arbeiten liegt ein Optimum an Kommunikation, das jede tumbe Konkretheit ("Karl V. besucht sonntags die Kathedrale von X") verhindert und dem Betrachter die Freiheit gibt, zu seiner eigenen Angemessenheit im Dialog mit der schweigenden Farbe zu kommen. "Reden ist Silber. Schweigen ist Gold."

Prof. Dr. Helge Bathelt

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