"Das Schweigen der Farbe"

2 x Pressemeldungen

Tanzperformance in der St. Karl Borromäus Kirche Winnenden

Tanzperformance von Suzanne Lehrer

• 26. Oktober 2002:
Rems Murr Kultur Waiblinger Kreiszeitung: Kunst mit Füßen getreten
• 31. Oktober 2002:
Stuttgarter Zeitung: Künstler Bunsen bittet, Bilder zu betreten

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26. Oktober 2002 Rems Murr Kultur, Waiblinger Kreiszeitung
"Kunst mit Füßen getreten:
Warum kein Kirchgänger Frederick Bunsen ausweichen kann"

Von unserem Redaktionsmitglied Jörg Nolle

Winnenden. Die Kirche gewinnt wieder an Boden, und sei's auf dem Felde der Kunst. Sie holt dabei regelrecht etwas zurück. Der Kunstbetrieb hat in den letzten Jahrzehnten viel getan, um das Museum als geweihten Ort zu nobilitieren. Wer Sinn suchet, soll ihn in der Kunst finden, jenseits der Traditionsveranstaltung Religion. Jetzt also, mit Frederick Bunsens Rauminstallation in der katholischen Borromäuskirche, wird wieder etwas gerade gerückt. Kunst dient speziell in der Kirche der Vergegenwärtigung von Hier und Jetzt, Gestern und Morgen. Und macht's dabei natürlich niemandem einfach.

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Was sehen wir, was sehen die Kirchgänger? Sie werden regelrecht mit der Nase drauf gestoßen, sie müssen reagieren. Bunsen hat eine Serie von Farbwolkengespinsten und Pinselhieben auf den Mittelgang gelegt, darüber zum Schutz eine Plexiglasfolie. Der Kirchmittelganggänger hat eine Entscheidung zu treffen: Trete ich drauf? Tritt er des Künstlers Schöpfung mit Füßen oder drückt er sich seitlich dran vorbei? Wenn er seinen Platz gefunden hat, gibt es immer noch kein Ausweichen: Zwei Folien hängen vom Dach runter vor dem Altar. Jede Transparenttafel trägt zwei rote Farbbahnen, die Sich überkreuzen. Die Kreuzsymbolik, natürlich. Der erste Gedanke.

Ortstermin in der Kirche zur Vorabbesichtigung. Frederick Bunsen, der Deutsch- Texaner und Kunstprofessor in Rumänien, kommt mit seinem Cowboygang auf die Bilderstrecke zu, holt dabei richtig aus zur Beschreitung des profanen Heiligtums Kunst, putzt regelrecht seine Schuhe an den Folien ab. Könnte heißen: Leute, macht etwas mit der Kunst, benützt sie, haltet bloß keinen Abstand aus falscher Rücksicht.

Denn genau das ist das Problem der ästhetischen Moderne. Ob sie nun abstrakter Expressionismus oder konstruktivistischer Minimalismus heißt. Sie wollte an- und aufregen, wollte Grenzen der Darstellung durchbrechen und Tabus das Geheimnis nehmen. Was aber geschah: eine Gewöhnung bis zum Links-Liegen-Lassen. Schade insofern, weil gerade der abstrakte Expressionismus, in dessen Linie Bunsen steht, sehr wohl einst konkrete Geistesgeschichte visualisierte, geradezu als sinnfälliges Zeichen für ein Denken stand. Der Existenzialismus kam nach dem Krieg als Geisteshaltung auf, um nach allen Katastrophen doch noch für sich ein Lebensrecht abzuleiten. Und zwar als Programm zur Selbstermächtigung: Verlass Dich auf niemand mehr, auf keine Führer und keine Leitideen. Sei selbst verantwortlich. Und so sollte auch in den von allen wiedererkennbaren Elementen und Figuren leergeräumten Gemälden die Selbstermächtigung des Betrachters stattfinden: Du selbst schreibst diesem Bildnis den Sinn ein.

Den für dich geltenden Sinn. Dieser Aufruf zur Selbstermächtigung hat nichts von seiner Aktualität verloren. Gerade auch für Katholiken. Unlängst wollte ja ein Kölner Kardinal den Laien die Glaubenstiefe absprechen. Sollte heißen: Sie glauben nicht genug an das, was vom Vatikan als einzige Lehre ausgegeben wird. Erst, aber, wenn nicht alles zugetextet ist, nicht alle Fläche zugemalt und mit Bedeutung zugestopft, ist auch Platz für Eigensinniges, Eigenverantwortliches.

Bunsen, der Verantwortliche für die sprechenden Leerstellen, hört sich solcherart Deutungsversuche lächelnd an. Sollen sie sich nur was dabei denken, egal was. Er steuert selbst noch ein bisschen Symbolik-Geraune bei, indem er mit Blick auf die Kreuze von "Negation der Negation" spricht. Aber es gefällt ihm nicht minder, wenn seine Bilder schlicht als verstörende Schönheit empfunden werden. Ohne allem Wort-Ballast. Wer einen Strich, eine, (Lebens-) Bahn kreuzt respektive übermalt schafft automatisch Raum und Tiefe, Und ein zeitliches Kontinuum, Prozess genannt. Wenn Bunsen seine lyrischen Pinselschwinge konterkariert mit strengen Quadraten aus rotem Sandpapier, dann. ist damit eine formale Spannung eingeschrieben, die im zentralen Nervensystem des Beschauers automatisch zum Reiz führt. Es muss nur darauf eingegangen werden, In dem es ganz körperlich begangen wird.

Offiziell in Augenschein genommen wird die Installation morgen ab 11.30 Uhr nach dem Gottesdienst. Es improvisiert dazu Thomas Schmitz an der Orgel. Parallel ist im Winnender Rathaus eine Ausstellung mit neueren Bunsen-Arbeiten zu sehen. Dies bis zum 22. November. Auch ist ein Katalog erschienen.

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31. Oktober 2002 Stuttgarter Zeitung, Seite 27
"Künstler Bunsen bittet, Bilder zu betreten: Ausstellung in Winnenden"

WlNNENDEN. Arbeiten des Winnender Künstlers Frederick Bunsen sind derzeit zu Gast in Sankt Karl Borromäus. Seine Bilder, die er als Installationen arrangiert hat, geben dem Kirchenraum ein neues Gepräge, obwohl die meisten sehr dezent platziert sind: auf dem Fußboden.

Von Kathrin Wesely

Seine Ausstellung sei "die Berührung zweier Systeme - Kunst und Kirche" sagt Bunsen. Es war ein langer Weg der Entfremdung, bis diese beiden Sphären So gänzlich von einander geschieden waren. Jahrhunderte lang waren Kunst und Kirche eng verbandelt. Erst vor rund 200 Jahren begann die Kunst auf eigenen Beinen zu stehen; sich abzunabeln von ihren kirchlichen und blaublütigen Auftraggebern. Jetzt also sind sie einander fremd, meint Bunsen.

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Seiner Ausstellung gab Bunsen den poetischen Titel "Schweigen der Farbe". Die einzelnen Arbeiten sind zu Gruppen arrangiert und stehen in einem spannungsvollen Verhältnis zu ihrer Umgebung. Zwölf Bilder, die der Künstler im Mittelgang zum Altar hin auf dem Boden befestigt hat zwingen den Kirchgänger, Bunsens Kunst zu betreten, bevor er das Abendmahl empfängt. Im Kern enthält jedes Bild der Blätter selbst schon in abstrahierter Weise das Thema der Ausstellung - die Berührung zwei unterschiedlicher Systeme. Meist dominieren zwei Elemente den Bildraum, oft zum Kontrast gesteigert- eine krakelige Textur und ein breiter Balgen, eine dunkle, ausgefranste Fläche die in eine helle hineinragt, Schwarz das mit einem satten Farbfleck konfrontiert wird.

Bunsens Bilder zu betreten. macht verlegen, weil ihre abstrakte Zeichensprache sich nicht einfach dechiffrieren lässt weil man sie nicht unmittelbar übersetzen kann nicht versteht- ganz anders als das Bronzekreuz mit dem Leib Christi über dem Altar. Das erzählt die Geschichte vom Leiden Christi und verspricht Erlösung. Die Bodenbilder verweigern sich der christlichen Ikonografie, es sind zwölf Blatter - nicht etwa 14, die als Kreuzwegstationen lesbar Wären. Dargestellt sind die Stationen des Leidens an anderer Stelle im Raum von dem Heilbronner Maler Raphael Seitz.

Eine stärkere Annäherung zwischen Kunst und Kirche wird bei der Installation in der Apsis spürbar. Dem bronzenen Kruzifix von Josef Baumhauer mit dem schwebenden Christus hat Bunsen links und rechts jeweils ein Plexiglasbild zugeordnet. Sie zeigen je ein rotes Kreuz wie mit bloßer blutiger Hand hingeschmiert. Diese schwebenden Bilder ergeben mit dem Kreuz in der Mitte und dem Paravent aus Beton, der sie hinterfängt eine Kreuzigungsgruppe von erhabener Wirkung, in der die beiden Schächer durch die gemalten Kreuze symbolisiert werden.. Die Erzählung vom Erlöser wurde bei dieser Lesart um eine Nuance erweitet: Sie nimmt den körperlichen Schmerz, das Blut, mit auf.

Aber das ist nur eine mögliche Deutung von Bunsens Arbeit die davon ausgeht. dass das vorhandene Kreuz das Ensemble bedeutungsmäßig dominiert. Das Kreuzsymbol ist so vertraut und verständlich, dass man unwillkürlich dazu tendiert, es gleichsam als Motto der gesamten Installation voranzustellen. Bunsens Blutkreuze lassen sich ebenso gut als abstrakte Zeichen auffassen, als ästhetische Setzungen in einem modernen, eleganten Kirchebau aus Beton, der zu Begin der sechziger Jahre erbaut worden ist. Die gemalten Zeichen und das bronzene Symbol verhielten sich dann wie Fremde zueinander. Vermutlich wäre dem Künstler eine solche Auffassung wesentlicher sympathischer, stützt sie doch seine anfängliche Behauptung, die Ausstellung habe die "Berührung" von Kunst und Kirche zum Thema.

Die Ausstellung von Frederick Bunsen in der Kirche Sankt Karl Borromäus ist noch bis zum 24. November zu sehen. Die Kirche ist täglich von 8 bis etwa 17 Uhr geöffnet.

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