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Ein Vorbild gibt Proviant für die nächste Wegstrecke


von
Gabrielle Pfaus-Schiller
2015

Fragt man den Breitenholzer Künstler Frederick Bunsen nach Vorbildern oder Prägungen, dann wiegt er nachdenklich den Kopf. Keine einfache Frage für einen der mit solchen Begriffen eher vorsichtig ist.

Gab es in den Anfängen seines Künstlerlebens jemanden, dem er nacheiferte, den er bewunderte? "Man zeichnet eben, wie alle Kinder" erinnert er sich. 1952 wurde er in El Paso, Texas, geboren und wuchs mit vier Geschwistern auf. Sein Zeichentalent wurde gefördert, auf eine Art die Eigeninitiative in den Vordergrund stellt: "Probier es aus!" lautete ein Leitsatz des Vaters, "warte nicht, dass andere es vormachen." Auch diese Worte des Vaters wiesen ihm den Weg: "Sei dir selbst ein Vorbild". Frederick Bunsen beschloss, Künstler zu werden, aber: "ich wusste nicht, was ein Künstler ist. Ich wusste nur, ich bin anders." Viel später, nachdem er schon manche Anerkennung und Kritik geerntet hatte, stellte er fest: "aha, ich bin ein Künstler!" Er findet ein anschauliches Bild dafür: "ich bin nicht der, der isst, ich bin der, der kocht!" Der Schöpfer also der kunstvollen Speise, nicht der Esser. Eine dieser "Speisen" ist Teil des Jerg-Ratgeb-Skulpturenpfads, das gläserne Objekt "Blutspur" am Eingang zur Bahnhofstraße. Doch bleibt die Frage nach den Prägungen. 1988 las er in der FAZ einen Artikel des Soziologen Niklas Luhmann, der mit seiner Systemtheorie von sich reden machte. "Da stand alles drin was ich vorher auch schon gedacht habe" blickt der Künstler zurück, "ich dachte: der versteht mich, ohne mich zu kennen! Das war wie eine Oase in der Wüste". Er schrieb an Luhmann und nach drei Tagen kam die Antwort. Als der Soziologe im Stuttgarter Hotel Schlossgarten den Hegelpreis entgegennahm lernten sich die Beiden kennen.

Irgendwie passte da etwas zusammen: der Soziologe schrieb über das Beobachten, über Systeme, über Differenz. Den Künstler beeindruckte diese Art zu denken: Beobachten, Unterschiede wahrnehmen - nicht trennen, nicht urteilen. Ein Beispiel mag das verdeutlichen: Der Wind ist unsichtbar, man kann ihn nicht zeichnen. Aber man kann so zeichnen dass er als Differenz zu den sichtbaren Elementen manifest wird. Der Wind wird wahrnehmbar durch die Dinge, die er bewegt. So entstehen die Formen der Malerei aus den Möglichkeiten, die ein Medium bietet. Das Medium selbst ist diffus, entscheidend ist die Differenz zwischen Medium und Form.

War Niklas Luhmann also ein Vorbild für den Künstler? So will es Frederick Bunsen nicht nennen. Er folgt ja nicht dessen Theorien wenn er malt, vielmehr hat Luhmann seine Kunst in Worte gefasst. Das drückt sich im Übrigen auch darin aus, dass der Soziologe sich die Malerei Bunsens als Illustration für eines seiner Bücher gewünscht hat.

Auf Umwegen wird er dann doch zu einer Art Vorbild: "Luhmann hat meinen Vater bestätigt, er hat mir Struktur gegeben." Beide betonten das Prinzip der Selbstbestimmung, wenn Luhmann es auch komplexer formulierte: "Autopoiesis" meint, dass sich das System Kunst selbst erklärt und nicht von außen definiert wird. Es geht nicht darum, über die Kunst zu reden sondern aus ihr heraus, als Teil des Systems. Luhmann verglich das mit dem Heizungsthermostaten: er misst etwas das außerhalb ist, die Temperatur, aber er regelt sich selbst. Und Bunsen ergänzt: das ist wie in der Ehe, sie funktioniert nicht nach Vorschriften, sie regelt sich selbst. Sich selbst regeln und Vorbild sein - das ist angewiesen auf die Beobachtung dessen was die Dinge und Menschen unterscheidet. Da geht es nicht darum zu trennen, Grenzen zu setzen, sondern um die Unterscheidung - die Differenz - zwischen Partnern. Auch die Kunst lässt sich in Bunsens Verständnis nicht vom Leben trennen. Das Prinzip der Differenz hilft, mit Kritik umzugehen: "der Kritiker beobachtet mich nur einfach anders als ich selbst es tue" erläutert Bunsen.

Was also ist ein Vorbild? Nach kurzer Denkpause sagt Bunsen: "das ist einer der mir Proviant gibt für die nächste Strecke, nicht für den ganzen Lebensweg." Damit ist wohl geistiger Proviant gemeint, etwa jener des 1998 gestorbenen Niklas Luhmann. "Er war mein Mentor und mein Freund" sagt der Künstler. Ein Freund sei ja auch eine Art Vorbild. Er ist jemand, von dem ich mich unterscheide, er ist nicht Gegner sondern Gegenüber - quasi ein Spiegel meines Selbst. Auch Künstler beobachten und nehmen Differenzen wahr, machen sie bewusst. "Künstler sollen sich äußern, auch wenn es weh tut" meint Bunsen, "das ist ihre Lebensaufgabe". Doch heute legt er den Finger auf andere Weise in die Wunde als früher, heute spielen Erkenntnis und Erfahrung eine Rolle. Gelernt hat er das im Elternhaus: "Wir waren eine Streitgesellschaft." Da wurden auch die unangenehmen Dinge auf den Tisch gelegt. Das empfindet der Künstler, der seit 1972 in Deutschland lebt, durchaus als vorbildhaft.

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