"Kreuzverhüllung"

Gott der ganz andere

Franz-Josef Ortkemper, 21. Februar 1999, Direktor des Kath. Bibelwerks e.V. Stuttgart

Predigttext: Jesus und die Samariterin (Joh 4,5-42)

Kunstinstallation in der St. Karl Borromäus Kirche Winnenden

Die Kreuzverhüllung 1999 (Fotos Karin Mueller Leonberg)

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Im Tamud, neben der Bibel dem wichsten Buch der Juden, findet sich eine alte Legende; sie erzählt von vier großen Theologen der jüdischen Tradition. Denen wird eines Tages eine hohe Auszeichnung zuteil Sie dürfen für einen Augenblick ins Paradies, um Gott in seiner Herrlichkeit zu schauen. Als sie nach diesem Erlebnis zu den Menschen zurückkehren, sind die Leute ganz erschrocken; denn die vier sind völlig verstört. Der erste, so erzählte die Legende, warf sich mit zitternden Gliedern auf sein Lager, nahm weder Speise noch Trank zu sich und starb nach wenigen Tagen. Den zweiten bedrängten die ungeheuer Bilder, die er gesehen hatte. Er kam mit seinem Leben nicht mehr zurecht und versank in Wahnsinn. Dem dritten erschien sein Leben auf einmal ganz und gar sinnlos. Was wir hier haben, ist doch ganz und gar nichtig im Vergleich zu Ewigen - so sprach er und warf verzweifelt allen Glauben von sich. Der vierte schließlich, Rabbi Akiba, sagte: Wir sind tot, gemessen an seinem Leben, wir sind en und klein vor seiner Unendlichkeit, wir sind Toren vor seiner ewigen Weisheit. Und doch hält er seine Hand über uns und hat uns dieses Leben gegeben, damit wir darin wirken zu seiner Ehre. Und er fing an, von ihm zu sprechen - in den armen Formen dieser Erde.

Unsere armen Worte

Die Jüdische Menschen, die diese Geschichte erzählt haben, haben ganz viel von Gott begriffen: Es ist ein unglaubliches Unterfangen, ist unsern armen Worten von ihm zu sprechen. Er ist uns Menschen unendlich überlegen, ist größer, viel größer als wir ahnen, als unsere Worte sagen können. Unsere Worte bleiben arm. Sie sind ja der Versuch, mit unserer beschränkten Sprache eine Wirklichkeit zu benennen, die all unsere Erfahrung weit übersteigt. Gerade wir Heutigen können das gut nachvollziehen. Vergegenwärtigen wir uns die Größe des Weltalls, in dem wir leben, und unsere kleine Erde dann, ein winziges Staubkorn. Alle paar Monate liefert uns die Astrophysik atemberaubend neue Erkenntnisse. Riesenräume, die all unsere Vorstellungskraft schlicht überfordern. Um wie vieles unvorstellbarer muß der sein, den wir als den Sinn und Grund all dieser Unendlichkeiten glauben!

Wir können das heute gut nachvollziehen: Alles, was wir über Gott denken und sagen können, bleibt im Grunde hilfloses Gestammel. All unsere Worte, unsere Vorstellungen, unsere Bilder reichen nicht hin, sein Geheimnis zu erfassen. Und dann sagt diese alte Geschichte und es ist, als schwinge so etwas wie ein Zittern mit, wie ein zitternder Jubel: Und doch hält er seine Hand über uns. Der unendlich große Gott, der unbegreifliche, ist uns ganz nah, ist uns zugetan, in herzlicher Liebe. Es ist wie ein Wunder. Er hält seine Hand übe uns. Wir sind ihm wichtig. Unser kleines Schicksal liegt ihm am Herzen. Wir dürfen uns ihm anvertrauen.

Marie- Luise Kaschnitz hat in ihrem "Tutzinger Gedichtkreis" diese Erfahrung für unsere Zeit so in Worte gefaßt: Zu reden begann ich mit dem Unsichtbaren. Anschlug meine Zunge das Ungeheure Du.

Atem beraubend- daß wir zu ihm reden dürfen!

Jesus und die Samariterin (Joh 4,5-42)

Ja, wir dürfen's! Jesus hat uns ausdrücklich dazu ermutigt. In ihm ist der unendliche Gott, der ganz andere, greifbar geworden, im wahrsten Sinn des Wortes. Das ist die Grundüberzeugung unseres christlichen Glauben. Die Geschichte von der Samariterin am Jakobsbrunnen erzählt davon auf bewegende Weise. Gott - auf Tuchfühlung mit uns Menschen!

Wie sensibel und behutsam Jesus mit dieser Frau umgeht! Schon wie das Gespräch beginnt: Nicht ein Jude steht ein Samariterin gegenüber - die Samariter wurden damals von frommen Juden verachtet und abgelehnt. Nicht der Überlegene steht vor einer unbedeutenden Frau, sondern ein dürstender Mensch vor einem dürstenden Menschen. "Gib mir zu trinken", so beginnt Jesus das Gespräch. Ich brauche dich. Die Frau ist völlig überrascht, ja, sie gerät geradezu aus dem Häuschen. Im griechischen Text wird das noch deutlicher, wie die Frau ihre Antwort förmlich herausstottert. Das hört sich wörtlich übersetzt so an: "Wie, du, ein Jude, von mir verlangt du zu trinken, einer samaritischen Frau?" (V.9). Sie spürt, da ist einer, der mich ganz ernst nimmt - endlich.

Die völlig unerwartete Zuwendung Jesu setzt ein Gespräch in Gang, das immer mehr in die Tiefe geht, vom Wasserschöpfen aus dem Brunnen hin zum tiefen Durst nach Leben, der bisher so oft ungestillt blieb, so entsetzlich ungestillt. Und da, wo das Gespräch am schwersten wird, wo die Frau es dann doch nicht fertig bringt, die ganze Wahrheit über ihr Leben zu sagen, sie höchstens einen Zipfel davon herauslassen kann, holt Jesus die ganz Wahrheit ans Tageslicht. Ohne jeden Vorwurf. Er möchte die Frau nicht beschämen. Er möchte ihr zu ihrer Wahrheit verhelfen. sie muß ihrer Wahrheit ins Auge sehen, ihren Schattenseiten, ihren Enttäuschungen, all ihrer ungestillten Sehnsucht.

Am Ende geht es dann um die entschiedene Frage: Wo kann man Gott wirklich anbeten? Wo finde ich Gott? Wo finde ich letzte Erfüllung? Die Frau darf sich sagen: Ich muß meine Lebenserwartungen nicht herunterschrauben, muß meine Hoffnungen nicht begraben. All das Unerfüllte, all die Enttäuschungen, die heimlich geweinten Tränen, die Demütigungen, Gott hat sie wahrgenommen. Er wird meine ungestillte Sehnsucht erfüllen, über all mein Erwarten weit hinaus.

Jesus erweist sich hier als unglaublich sensibler Wegbegleiter. Voller Sympathie sieht er auf ein Menschenleben, in dem so vieles an Hoffnungen verschüttet ist. ER bringt die Quelle wieder zum Sprudeln, die scheinbar schon versiegt war.

Gott, der unbegreifliche, der ferne, der ganz andere - in Jesus ist er uns ganz nahegekommen: das ist der Kern unseres christlichen Glaubens.

Das Tuch von Frederick Bunsen

Gestern bin ich extra nach Winnenden gefahren, mit die Tücher hier in die Kirche anzusehen. Ich möchte Ihren Blick auf das Tuch von Frederick Bunsen lenken. Es genügt übrigens nicht, es sich nur vom Mittelgang aus anzusehen. Man muß mal in zwei drei Bänke hineingehen, das Tuch aus der Nähe von verschiedenen Seiten betrachten. Dann merkt man: Es ist nicht nur blau, es sind ganz unterschiedliche Blautöne, von schwarz durchsetzt. Wie Wasser, tiefblau, von schwarzen, dunklen Abgründen durchzogen. Und man entdeckt, wie sich eine Fußspur über das Blau des Wassers zieht.

In den biblischen Texten, die wir gerade im Gottesdienst gehört haben, vom Jakobsbrunnen und vom Wasser aus dem Felsen (Ex 17,3-7), ist das Wasser Symbol des Lebens. Doch ist es in der Bibel ein sehr ambivalentes Symbol. Das Wasser kann auch Vernichtung symbolisieren: Das Wasser, das alles verschlingt.

   Hilf mir, o Gott !
   schon reicht mir das Wasser bis an die Kehle.
   Ich bin im tiefen Schlamm versunken
   und habe keinen Halt mehr;
   ich geriet in tiefes Wasser,
   Die Strömung reißt mich fort.

So schreit der Beter des 69. Psalms zu Gott (Ps 69,2-3).

Im Buch l Job heißt es von Gott: Er schreitet einher auf den Höhen des Meeres (ljob 9,8).

Solche biblischen Texte fallen mir ein, wenn ich dieses Tuch ansehe. Schritte über das Wasser, Schritte mitten durch die Angst, getragenwerden, nicht versinken - hier kann ein Bild weit mehr aussagen als dürre Worte es vermögen. Hier kann ein Maler viel mehr sagen als man mit Worten sagen kann.

Mächtiger als Angst und Tod

Jesus wird am Ende selber verschlungen, die Wasser des Todes werden über ihm zusammenschlagen, er wird seine Todesangst hinausschreien und seine Gottverlassenheit. Er, der in seinem Leben von der Nähe und Geborgenheit in Gott gesprochen hat, der samaritischen Frau Frieden mit Gott vermittelt hat, er wird selber erfahren müssen, wie fern Gott sein kann. Er wird ihm seine Not entgegeschreien: "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?" (Mk 15,34) - und dennoch, selbst im Dunkel des Sterbens wird er an seinem Gott festhalten. Er geht in den Tod, vertrauend, daß Gott sich auch noch in diesem Augenblick als der Treue der Verläßliche erwiesen wird.

Das Gott mächtiger ist selbst als der Tod, das erden wir zu Ostern neu feiern. Auch am Ende, wenn der Tod alles zunichte macht, stürzen wir nicht ins Nichts. Gott hält unser Leben mitsamt der Bitterkeit des Sterbens in seiner Hand. Und dieser Gott ist da, auch heute schon, auch dann, wenn mir die Angst die Luft zum Leben schier abschneiden will, wenn die Wogen der Angst mich zu verschlingen drohen.

Im Licht des Osterglaubens werden die Freude Jesu erzählen, wie Jesus mitten über das Wasser zu ihnen kommt, mitten in ihrer Angst bei ihnen ist. Das Unmögliche wird möglich. Auch davon erzählt mir dieses Bild: Schritte über das Wasser.

"Wir sind tot, gemessen an seinem Leben, wir sind eng und klein vor seiner Unendlichkeit, wir sind Toren vor seiner ewigen Weisheit. Und doch hält er seine Hand über uns und hat uns diese Leben gegeben, damit wir darin wirken zu seiner Ehre. Und er fing an, von ihm zu sprechen - in den armen Formen dieser Erde."

Ja, von dieser wunderbaren Erfahrung, bei ihm geborgen zu sein, mitten in aller Bedrohung und Angst - davon dürfen wir erzählen - und malen.

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