Kunstinstallation

St. Laurentius Hailfingen, Pfingstsonntag, 19. Mai 2013

St. Laurentius Hailfingen

Frederick Bunsen 2013

St. Laurentius Hailfingen

Frederick Bunsen 2013

St. Laurentius Hailfingen

Frederick Bunsen 2013

St. Laurentius Hailfingen

Frederick Bunsen 2013

Künstler zum Werk
Pressemitteilung
Einladungskonzept und einleitender Text von Dr. Karl-Heinz Minz

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Wolfgang Urban

Predigt zur Kunstinstallation von Frederick Bunsen
in St. Laurentius in Hailfingen
Pfingstsonntag, 19. Mai 2013

Kunst gibt zu denken, liebe Schwestern und Brüder. Es gibt Ihnen zu denken, wenn Sie als Gottesdienstbesucher auf diesen Turm aus einem Gerüst von Stahlmatten mit den zahlreichen bunten Stofftieren blicken und sich im Stillen oder auch offen Ihre Nachbarin oder Ihren Nachbarn in der Kirchenbank fragen: "Was soll das?!" Soll das eine Provokation sein? Gehört so etwas in ein Gotteshaus und noch gar am hochheiligen Pfingstsonntag? All diese Fragen sind Zeichen einer Denkbewegung, einer Gefühlsregung, einer Emotion. Im Fremdwort "Emotion" ist übrigens das lateinische "mov?re" für "bewegen" enthalten. Und damit wären wir schon beim Grundsätzlichen. Der Heilige Geist als dritte Person des dreifaltigen Gottes, er ist der Beweger schlechthin, er ist der Beweger des Denkens und Fühlens. Und immer dann, wenn solches tiefer führende Bewegen zu spüren ist - letztlich schon ansetzend in der zunächst noch oberflächlich erscheinenden Frage "Was soll das?" - ist Heiliger Geist im Spiel.

Jedes Kunstwerk, wie überhaupt jede Arbeit des Menschen, ist ein Werk des Geistes und wird immer mit Mitteln des Geistes, wenn ich dieses alteuropäische Wort einfach so weiter benützen darf, hergestellt. Eines der feinsten Werkzeuge des Geistes ist die menschliche Hand. Der Physiker und Philosoph Marco Wehr hat ein sehr beachtenswertes Buch mit dem Titel "Die Hand als Werkzeug des Geistes" herausgegeben. Der Philosoph Martin Heidegger (1889-1976) ging sogar so weit, in seiner Vorlesung "Was heißt denken?" vom Denken als einem Werk der Hand und als Handwerk zu sprechen. Wo aber Geist erfahrbar wird wie in Hervorbringungen des Menschen, und sei's nur im Löffelschnitzen, wie der Denker Nikolaus Cusanus (1401-1464), einer der ganz großen Theologen und Philosophen des Mittelalters, heraushob, oder im spielerischen Verzieren eines Haselnusssteckens als Wanderstock, ist Gottes Gabe schöpferischen Geistes, ist der Heilige Geist am Werk und im Spiel.

Wenn am heutigen Pfingstfest, dem Fest des Heiligen Geistes, ein besonderes Kunstwerk in der Laurentiuskirche von Hailfingen gezeigt wird, unterstreicht und bezieht sich dies auf den Inhalt des Festes im Kirchenjahr. Die Installation von Frederick Bunsen arbeitet letztlich mit rein Geistigem, basiert darauf. Wie rein Geistiges in seinen Arbeiten zu Tage tritt, erkannte schon Niklas Luhmann (1927-1998), ein Soziologe und Philosoph, einer der bedeutendsten Denker des ausgehenden 20. Jahrhunderts. Wie sehr die Hailfinger Installation an das Geheimnis des Heiligen Geistes, ja an das Mysterium des dreifaltigen Gottes, rührt, dahin führt die nähere Betrachtung des vorgestellten Werkes, eine Betrachtung, die sich insofern dem Geist verpflichtet weiß, wenn sie bei der Frage "Was soll das?" nicht beim Ausdruck der blanken Empörung stehen bleibt, sondern tatsächlich tiefer dringen möchte, nach gründlicher, d. h. auf den Grund gehender Antwort sucht, sich auf das Gebotene einlässt, nicht einfach und es sich einfach machend bei der Ablehnung des Ungewohnten und Ungewöhnlichen stehen bleibt, sondern zu verstehen sich bemüht und das Verstehen sucht. Das erste, direkt vor Augen Liegende und in seiner Vielfarbigkeit geradezu ins Auge Springende sind die Stofftiere, die Kuscheltiere von Kindern, aus denen ein Hauptteil der Installation besteht. Sie werden die Bilder von Katastrophen, von Unfällen in Erinnerung haben, wenn in den Medienberichten die Kamera ein am Ort des Geschehens zurückgebliebenes Kuscheltier ins Visier genommen hat und damit, weil ein solches Spielzeug auf ein Kind als Opfer verweist, uns besonders anrührt, schmerzlich bewegt, mittrauern lässt. Wenn Frederick Bunsen solche Stofftiere, die Teddybären, die Püppchen, die kleinen Stofflöwen - ein kleiner Tiger befindet sich darunter, verschiedene Häschen, kleine rosafarbene und blaue kleine Elefanten und anderes mehr - zum Baustoff seines Kunstwerkes macht, dann hat er von vornherein schon außerordentlich von Gefühlen befrachtetes Material als Werkstoff seiner Arbeit herangezogen. Alle einbezogenen Kuscheltiere haben einmal einem Kind gehört, einem Mädchen oder Buben, sind "gebrauchte", an allen hat einmal - ich betone es - das Herz eines Kindes gehangen. Die Schmusetiere unserer Kinder vermögen darum unser Fühlen, unsere Phantasie und unser Denken so stark zu tangieren und zu bewegen, weil sie als Gegenstände von der Fähigkeit des Menschen zur Zuwendung, zur Zärtlichkeit, seiner frühen Fähigkeit zum Lieben erzählen, weil sie von seiner Suche nach Geborgenheit, nach Trost sprechen. Sie manifestieren, wie der Mensch im Innern auf ein Gegenüber ausgerichtet ist und in dieser Ausrichtung auf einen Anderen und ein Anderes dessen Dasein erst seine Erfüllung findet, nicht in der Orientierung und Konzentration auf das eigene Selbst und Ich, sondern erst in der Beziehung auf einen anderen sich selbst verwirklicht.

Bei Kindern erleben wir dies in der reinen, in der noch völlig freien und unschuldigen Weise der Hingabe. So vermag solches Kinderspielzeug, vermögen die Schmusetiere uns das Liebesbedürfnis und das Lieben eines "kleinen Menschleins", möchte ich sagen, ins Gedächtnis zu rufen, abrupt zu verdeutlichen und zu offenbaren, bekommt dieses Vermögen im jeweiligen Gegenstand eine nicht mehr hintergehbare Konkretion. Hinter jedem der von Frederick Bunsen verwendeten Stücke steckt eine Kindheitsgeschichte, eine Liebesgeschichte, eine eigene Geschichte des sich Ausbildens und Heranreifens, des Fühlens und des Liebens, der Suche und der Sehnsucht nach Trost und Geborgenheit. Der aufgebaute und mit Schmusetieren, aus lauter Liebesstücken bestückte Turm besteht daher aus einer Vielzahl von Zeugnissen elementaren Gefühlslebens. Diese einzelnen, ganz individuellen und doch innerlich verwandten Geschichten, mit den Kuscheltieren als Relikten früher Biographien kindlichen Fühlens und Empfindens, bilden gewissermaßen "a sentimental journey". Die lebendigen Bausteine des Turms werden erst in ihrer Betrachtung als Ganzes, wie ein Agglomerat, zu einer Sammlung und einer Versammlung von Fühlen und Trost.

Der Turm hat zwar nur drei Etagen, ist aber nach oben offen und unsere Vorstellungskraft kann ihn über seinen Ansatz hinaus wachsen lassen ins Grenzenlose, bildlich gesprochen "bis in den Himmel hinein". Ein Turm ist seit altersher ein Sinnbild, ein Symbol für Transzendenz. Diesen Sinn hat der Turm noch bei Rainer Maria Rilke (1875-1926) im Eröffnungsgedicht seines Lyrikbandes "Das Stundenbuch". Dort heißt es: "Und ich kreise um Gott,/ den uralten Turm,/ und ich kreise Jahrtausende lang,/ und ich weiß noch nicht,/ bin ich ein Falke, ein Sturm oder ein großer Gesang". Als ein großer polyphoner Gesang, komponiert aus vielstimmigen Kinderliedern, könnte auch Frederick Bunsens Turm gesehen werden. Nirgendwo in gleich reiner Weise äußert sich Heiliger Geist als Liebesbewegung und Liebesspiel Gottes im Menschen wie im Lieben und Fühlen von Kindern. Alle Stofftiere zeugen somit von Geistesgegenwart im Menschen. Sie sind gewissermaßen vollgesogen, durchtränkt - und Tränen gehören hier auch dazu - vom Fühlen des Menschen, von der Trauer des Alleinseins, vom Einschlafen und Aufwachen, von kindlich behütender Sorge und Umsorge. In ihnen steckt der Magnetismus des ganz Persönlichen, sie besitzen die Aura der geistigen Energie des Fühlens und des Liebens des Menschen. Sie sind aufgeladen von der Energie menschlich-kindlicher Emotionalität. So spielerisch sie erscheinen mögen, mit ihnen ist zugleich tiefer Ernst verbunden. Erfahrbar wurde solcher Ernst, wenn die geliebten Wesen, die nicht einfach Dinge waren, sondern als voller Leben, als lebendig betrachtet worden sind, wenn sie einmal vermisst wurden oder verloren gingen.

Frederick Bunsen hat einen Turm der Gefühle konstruiert, einen Turm aus Kindheitsgeschichten aufgeschichtet. Jedes einzelne Stofftier repräsentiert eine einzelne kindliche Lebenserfahrung. Dieser Turm akkumuliert kindliches Lieben und gefühlsseliges Spielen. Er wirkt mit seinen aus Kuscheltieren gebildeten Zellen wie ein Akkumulator, ein Energiespeicher. In der hier präsentierten Installation gehen sogenannte Überbrückungskabel von dem darüber hängenden Leinwandgemälde aus und verbindet sie mit dem Turm. Mit den Kabeln wird die Kraft, die Energie einer Batterie zur Zündung eines Automotors übertragen. Die im Turm gespeicherte Liebesenergie steht im Austausch mit dem Gemälde.

Der Heilige Geist wird in der Theologie des Dreifaltigen Gottes als die Person und Kraft des geistigen Austausches innerhalb der drei Personen der Trinität gedacht. Austausch, Energieübertragung können geradezu als Bildworte für das Wirken des Heiligen Geistes genommen werden. Sein Austausch besteht in der Gabe des Fühlens, des Liebens, des Trostes.

Innerhalb des Aufbaus der Installation muss der Austausch in beiden Richtungen betrachtet werden. Der Energiefluss verläuft nicht nur vom "Geistturm" zum Gemälde, sondern auch umgekehrt vom Gemälde zum "Geistturm". Beide interpretieren sich gegenseitig. Das Gemälde Frederick Bunsens hält sich - das sei ausdrücklich bemerkt - an die Nichtdarstellbarkeit Gottes. Es handelt vom Dunkel Gottes. Das Wesen Gottes erscheint uns zwangsläufig vom Dunkel verhüllt, als unzugänglich, als hinter einer dunklen Wolkensäule wie im biblischen Buch Exodus verborgen, unserem Sehen und Begreifen letztlich absolut entzogen. So bietet das Gemälde eine Ansicht Gottes, in der eine schwarze Verhüllung, eine Übermalung das dahinter liegende Licht Gott nur verdeckt erahnen lässt. Gleichzeitig aber finden Gott selbst und das Geistwirken eine vielfältige, farbenstrahlende, die Phantasie bestürmende Konkretion in den Spieldingen, mit denen die anfänglichen Schritte im Einüben menschlichen Liebens und menschlicher Sehnsucht in der Kindheit unternommen wurden. An ihnen wird die Macht, die Kraft göttlichen Energiestroms erfahrbar. Sie erzählen von der Geistesgegenwart. Der "Geistturm", wenn man ihn so nennen darf, vergegenwärtigt eine Gotteserfahrung und Gottesvorstellung, die einerseits um die Unfassbarkeit weiß, die andererseits jedoch zugleich sehr konkret auf den von Gott ausgehenden erlebbaren Energiestrom der Liebe verweist. Diese Installation des Austausches und der Wechselwirkung, der "Geistwirkung", bietet einen Versuch der Annäherung an das Mysterium des dreifaltigen Gottes als Austausch unergründlich tiefer Liebe, welche die Dinge lebendig werden lässt, und sie mit göttlichem Geist zu füllen vermag. Sie bietet auch eine Annäherung an das im Leben des Menschen, schon von Kindesbeinen an gegenwärtige göttliche Geheimnis. Frederick Bunsens Installation führt zum Nachdenken, gibt zu denken.

Diakon Wolfgang Urban Diözesankonservator i. R.

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