"Ohne Titel" 2019, Öl auf Leinwand.
Tiziano Vecellio verdanken wir neben seinen vielen weltbekannten Werken auch zwei Fassungen einer Auferstehung Christi. Die erste - zwischen 1520 und 1522 entstanden - finden wir im Mittelfeld des sog. Polyptychons Averoldi. Sie ist in dunkelschwerem Kolorit gehalten. von dem sich der emporschwebende leuchtende Leib des Herrn abhebt. Über diese Arbeit wurde übrigens ähnlich nachgedacht wie über den Herrenberger Altar, nämlich bezgl. der Bedeutung des Auftraggebers für die Werksformulierung, Dokumentation contra Innovation.
Zurück zu Tizian. einundzwanzig Jahre später platziert er seinen Auferstandenen vor eine ungleich hellere landschaftliche Kulisse, kleidet sie in eine weit zugänglichere Farbigkeit und gönnt den Schergen schmucke Uniformen und ein dezent erst erwachendes Erschrecken.
Diese zweite Fassung hat Frederick Bunsen in einem seiner Werke zitiert und zwar ziemlich direkt was die Soldaten angeht, während er den Auferstandenen in ein Geistiges auflöst: aus der Gestalt wird Licht. Erstaunlich, dass sich ein zeitgenössischer Künstler eines solchen Themas annimmt. Bemerkenswert auf jeden Fall, denn schließlich leben wir in einer Zeit, in der christliche Themen in der Kunst - mit ganz wenigen plakativen Ausnahmen: Gerhard Richter im Kölner Dom - kaum noch eine Rolle spielen, ein "theatrum sacrum" niemanden mehr anspräche und eine visuelle Verknappung regiert. Traurig eigentlich, denn Leben ist Farbe.
Bei Bunsen geht es um zwei Ansätze für eine: nennen wir es heilige Kunst. Erstens interessieren ihn offenkundig Themen der Geschichte, einer Geschichte. die der Gegenwart verloren zu gehen scheint. Über den Kollegen Tizian erinnert Bunsen an die Tradition, erinnert an den Boden, auf dem Kultur und Kunst aufbauen: ein Memento also besonderer Art. Traditionen aber leben nur dann fort, wenn sie reflektiert und erneuert werden. Ein Werk Bunsen steht ja deshalb auch auf dem Ratgebpfad.
Zweitens kehrt er etwas hervor, dass nach meiner persönlichen Erfahrung einen der möglichen Fluchtwege bedeutender zeitgenössischer Kunst eröffnet, nämlich nachzudenken über das eigene Tun und schöpfen aus dem riesigen Reservoir der Vergangenheit. Sie findet nur selten dort statt, wo sich ein Heer von Produzenten mehr für die plakativen Wirkung: als für den Gehalt und die Sinnhaftigkeit ihrer bildnerischen Arbeiten interessiert.
Bunsen aber - zuständig bei seiner Hochschulprofessur eben auch und gerade für Kunsttheorie und tatsächlich anregend gewesen für das, was Niklas Luhmann zur Kunst geschrieben hat - Bunsen also denkt nach bevor und während er arbeitet und - wenden wir uns nun seinen anderen hier gezeigten Arbeiten zu - sein Denken wird in ihnen in allem greifbar. Den Zufall bemüht er nie. Das steht gerade eben nicht im Widerspruch zu seinem heutigen Thema ,,Aufhebung des Zustandes", denn sein Arbeitsprozess ist genau das: Reflexion auf das Geschaffene im kritischen Diskurs mit einem das Geschaffene Überbietenden.
Sein Denken vermittelt sich in seinem Werk z.B. auch dadurch, dass er sich in einen weiteren traditionellen Kontext stellt, nämlich in den, der Bedeutung via Präsentation transportiert. Bunsen zitiert den Ort höchster Bedeutung von und für Kunst: und welcher wäre das, wenn nicht das Museum. Schauen Sie sich in den Staatsgalerien der Welt um bis hin zu Banskys populär geworden "Love is in the Bin": alles Wertige findet im Goldrahmen statt.
Bunsen bietet den Goldrahmen gleichfalls auf: nicht aber um sich eine Bedeutung anzuziehen, sondern um die Differenz zwischen Inszenierung und Inhalt zu markieren! Die Frage geht an die Betrachter, markieren Ausstellungsort und Inszenierung denn wirklich Bedeutung? "Kunst ist Kunst dort, wo Kunst ist!" - um mich einmal selbst zu zitieren. Heute z.B. findet sie in der Galerie der Stadt Herrenberg statt.
Kunst kann auch sonst Anknüpfung sein. Das klingt gut - ist aber falsch. Kunst ist immer Anknüpfung. Sie bewegt sich nicht im luftleeren Raum und deshalb ist in allem das sich neu und ursprünglich darstellt, immer auch die Tradition präsent. Denken wir an Ad Reinhardts monochrom schwarze Fläche, so ist sie zu Ende gedachte Abstraktion. Denken wir an die großen Malbewegungen von K.O. Götz, so sind sie Spielformen des Selbstreferentiellen in der Malerei und schauen wir uns die minimallinearen Bewegungen Bunsens bei seinen Arbeiten im Eingangsbereich an, so s1nd sie Auseinandersetzung z.B. mit seinem Kollegen Petr Hrbek - leider vor sieben Jahren und damit viel zu früh verstorben - dialogische Auseinandersetzungen, die einem Organon des Unruhigen eine Rhythmik der Bewegung entgegensetzen, ohne die das Thema unausgeschöpft geblieben wäre.
Besonders eindrücklich kann das dargestellt werden anhand der Kühnheit Bunsen, sich mit einem ausgelutschten Sujet tatsächlich auseinander zu setzen, nämlich mit der Landschaftsmalerei. ln ausgedehnten Bildfolgen - und es ist ein Verdienst dieser Ausstellung, dass sie solche Bildfolgen zeigt - in ausgedehnten Bildfolgen also komponiert Bunsen Raumtiefen mit landschaftlichen oder pflanzlichen knappen Zitaten und zeigt damit das Vitalitätspotenzial an, das Landschaft immer noch beinhaltet. Gelegentlich stellt er dem - Bild im Bild - Zeichen an die Seite oder gar entgegen, die jede Idylle in Frage stellen. Hier gelingen ihm Fassungen, die ich nur von zwei bedeutenden Reformatoren vertrauter Sujets kenne, nämlich von den Blumenstücken Oskar Kollers und von den Portraits und Landschaften Horst Janssens.
Und dann gibt es noch veritable Großformate mit den für Bunsen typischen Fläche - zu - Linie - Bezügen, mit der Einbindung kunstferner Materialien - auch wieder eine große Tradition aus dem 20. Jahrhundert - mit bedeutungsvollen Raumstaffelungen und getragen von einem Linienspiel, das ein äußerstes Sensorium ausweist.
Auch ein käfigartiges dreidimensional angelegtes Gestänge àla Bacon finden wir, in dem Bunsen die Kreatur durch ein schwarzes Loch ersetzt und damit einen kosmischen Bezug herstellt.
Eine solche Kosmologie schließlich bietet uns auch jene großformatige Arbeit, die Sie von der Einladung her kennen und bei der ein linearer Schleier über eine Farblandschaft gelegt wird, die alleine schon ein Kronjuwel wäre für all das, was die Informellen - hier vor allem Fred Thieler - geleistet haben, um der Kunst ein Geistiges und Persönliches zu geben, das alle bloßen Farbstürme weit überbietet.
Eine leichte Melancholie scheint sich mir durch diese Werkschau zu ziehen, als sei sie ein Abgesang auf all das Große, das Kunst immer geschaffen hat und das - fraglos ja auch - bedroht ist, bedroht von einem Verlust des Geistigen in einer Gesellschaft, die Sätze kolportiert wie: "Bilder sind teure Tapeten" und die Bildung z.B. durch Regelstudienzeiten und Trichterwissen behindert. Bücher verlieren wir ja vermehrt auch schon. Sie werden gespeichert, müssen nicht mehr verbrannt werden: es reicht, wenn man sie löscht: auch eine Aufgabe, die wir an Alexa delegieren können. Auch Kunstwerke werden ja jüngst erst dann so richtig populär, wenn man sie schreddert.
Den dialektischen Prozess nach dem Frederick Bunsen arbeitet hat er als thematische Instruktion über diese Werkschau geschrieben: "Aufhebung des Zustandes - mit der Option zu scheitern". Damit meint er die Formulierung seiner Kunst als permanente Auseinandersetzung mit einem angestrebt Gültigem, meint er die prinzipielle Ungewissheit eines Prozesses, der zwischen wissen, fühlen und gestalten eingespannt ist und der die Option des Scheiterns genauso beinhaltet: wie den Genuss eines Erreichten. Ob aber diese Arbeiten so bleiben werden, das lässt Bunsen offen. Ihr heutiger Zustand ist nur dann gesichert, wenn Sie Ihren Favoriten mit nachhause nehmen und das ist eine wohlmeinende Empfehlung.
Abschließend bitte ich noch etwas anregen zu dürfen, nämlich eine zweite Werkschau dieses Künstlers, die alleine seinen Zeichnungen zu widmen wäre, denn auch und gerade in der Zeichnung gehört er zu den wirklich wichtigen und Präsentation von Wichtigem gehört zu den Aufgaben einer so hervorragend geführten Galerie, wie wir sie hier in Herrenberg haben und das auch dann, wenn es nicht allseits kapiert wird.