zu Sinn und Sendung
in der Kunst-Kommunikation
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Studentinnen und Studenten der Freie Kunstschule Stuttgart
in der te-com Galerie
Backnang/ Waldrems
Projektleitung: Frederick Bunsen
Stefanie Rumpelt
Einführung
Prof. Dr.
Helge Bathelt, M.A. Herrenberg
Ein Indianer
und ein Cowboy begegnen sich mitten in der Prärie. Der Indianer macht ein
Zeichen. Der Cowboy antwortet mit einem Zeichen. Jeweils wieder im Zelt bzw. im
Saloon wird nach den Tagesereignissen gefragt. Der Cowboy erzählt von seiner Begegnung:
„Ich habe eine Rothaut getroffen. Der hat mir mit einem Zeichen gezeigt „Ich
erschieße Dich!“. Darauf habe ich ihm gezeigt „Ich erschieße Dich zweimal!“ Da
hat er ein Zeichen der Aufgabe gemacht und ich habe ihm bedeutet, dass er sich
seines Weges scheren soll. Da hat er sich getrollt.“
Der Indianer
berichtet: „Ich habe einen Trapper getroffen und ihn durch ein Zeichen gefragt:
wie er heißt. Er hat geantwortet „Ziege“. Ich habe ihm noch einen guten Tag
gewünscht und er mir glückliche Wege.“
Die beiden
hatten offenkundig ein Kommunikationsproblem. Kein Wunder: denn sie haben mit
unterschiedlichen Codes operiert.
Kommunikationsprobleme
sind häufig. Wenn wir jemanden ansprechen beispielsweise mit „Wie geht es Dir
heute?“, dann ist die Nachricht dabei unmißverständlich. Es steckt aber auch
ein Stück Selbstkundgebung in dem Satz. „Ich mache mir Sorgen um Dich. Hat sich
an Deinem Zustand etwas verändert?“ Eine Beziehungsebene kann angesprochen
werden: „Wie geht es Dir h e u t e? Simulierst Du schon wieder?“ Oder appellativ:
„Es geht Dir doch sicher besser. Du tust doch etwas an Deinem Zustand?“ Der
Sprecher möchte also etwas veranlassen.
Wenn unsere
Ausstellung nun „Sprechcode Kunst“ heißt, dann werden wir uns zur Identifizierung
des Gemeinten auch Fragen müssen, welcher Sachgehalt, welche Selbstkundgabe,
welche Beziehung und welcher Appell jeweils dominiert, d.h. auf welcher Erfahrungsebene
wir abgeholt werden.
Hier erfährt
das Thema „Sprechcode Kunst“ eine Begründung, vor allem, wenn es zusammen mit
seinem Untertitel gesehen wird: „Zu Sinn und Sendung in der
Kunst-Kommunikation“. Es geht also um die Eindeutigkeit eines erstellten Codes,
d.h. seine Sinnhaftigkeit: zugleich aber um die Übertragbarkeit des Sinns nach
seiner Sendung, d.h. nach Ankunft beim Rezipienten bzw. Betrachter.
Ziel der
Produktionen ist also ihre Eindeutigkeit. An der Erreichung dieses Zieles werden
die Arbeiten erst einmal zu messen sein. Mit anderen - z.B. formalen - Kriterien
werden wir uns später beschäftigen.
Einfachheit,
Klarheit und Eindeutigkeit bietet der Beitrag von Petra Rank. Ich erwähne ihn deshalb gleich eingangs, weil er sich
in eine Nische absetzen mußte, einen Ort der Ruhe zu finden hatte.
Wie beobachtet
ein Blinder? Diese Situation wird von Petra Rank geschaffen. Mit einer Maske
versehen soll ein Memory erfühlt oder die Qualität unterschiedlicher
Oberflächen - in einem Buch gesammelt - erkannt werden. Unbewußt oder unterbewußt
vorhandene Qualitäten - „Fühlen“ - werden bewußt gemacht. Die Versuchsperson
wird über eine Fähigkeit informiert, die Schöpferin formuliert einen Vorwurf
über zu wenig Sensibilität und regt Nachdenken an und votiert eindeutig für die
Entwicklung von mehr Sensibilität.
Von hoher
Konsequenz auch und gerade die Arbeiten von Helga Schattenberg. Während unser erstes Werkbeispiel noch
unabhängig von jüngeren, aktuellen oder künftigen Entwicklungen informiert und
appelliert: finden wir hier einen engen Bezug zu einer cyberrealen Welt und den
in ihr aufscheinenden Phänomenen. Helga Schattenberg arbeitet durchgehend mit
Kabeln oder deren Abbildung und mit Menschenbildern oder Spielfiguren und zwar
solchen: wie sie bei elektrischen Eisenbahnen eingesetzt werden, damit dort in
Miniaturstädten, -Landschaften, -Bahnhöfen Wirklichkeit simuliert wird.
Passfotos als eine Form extremer, weil identifizierender Wirklichkeitsaneignung
sind weiters bedeutungsvoll eingesetzt. Helga Schellenberg nimmt sich der
Unterscheidung zwischen personaler und virtueller Kommunikation an. Stellen wir
uns mal einen Chat-Raum vor. Wir haben den Satz eingegeben „Ich bin traurig,
dass ich Dich so lange nicht gesehen und gesprochen und berührt habe“.
Einerseits macht nun die Übertragung in eine ASCII-Schrift den Unterschied
deutlich zwischen Kommunikationsinhalt und -form und zugleich eröffnet sich uns
ein Blick ins längst Absehbare aber Verdrängte, dass nämlich „Die Zukunft des
Körpers“ - so auch der Titel zweier höchst instruktiver Bände des „Kunstforums“
(Nr. 132 und 133), dass also diese Zukunft des Körpers selbst im Sehen, im
Sprechen, im Berühren aufgrund unendlicher technischer und zeitlicher
Verfügbarkeit virtuell sein wird. Bildübertragungen gibt es längst und
elektrische Reizübertragung auch. Was lediglich fehlt ist die Einspeisung ins
Internet und die serielle Produktion entsprechender Apparaturen zur
Reizübertragung. Natürlich werden wir uns künftig auf Distanz reizen können.
Distanz und Nähe drückt Helga Schellenberg in drei von vier kleinen Schaukästen
in Nähe und Entfernung, Zu- und Abwendung ihres Spielzeugpaares aus. Im vierten
Kasten ist das Paar durch ein Kabel verbunden. Die Nähe des Arrangements „Keep
in Touch“ zu Insektenkästen ist fraglos gewollt.
Überaus
originell auch ihre Vision von „Kabelblumen“, d.h. das Ineinandergehen von
Natur und Technik als Demaskierung von Illusion.
Die
Kontroverse zwischen virtuellem Auftritt und Wirklichkeit hat sich auch Markus Margenheim mit seinen
„Emoticons“ als Thema gewählt. Der Bildschirm informiert mich über einen
Gemütszustand: nicht aber darüber: wer diesen Gemütszustand hat bzw. über die
Authentizität dieses Zustandes. Das Medium kaschiert das Tatsächliche. Es läßt
jeden Widerspruch zwischen Äußerung und Wirklichkeit zu, ja es bezieht sogar
seinen besonderen Reiz aus dieser Differenz zwischen Sein und Schein. Die Wiedergewinnung
von Wirklichkeit durch Herstellung eines personalen Kontaktes wird zum
Störfall: vielleicht zum Supergau der Beziehung. Wesentlicher Bestandteil der
virtuellen Beziehungswelt ist ihre Aufrechterhaltung. Eine bemerkenswerte Qualität!
Ein anderer
Aspekt desselben Phänomens bietet das Projekt der „Gruppe Hautnah“.
Was bedeutet
für uns eine Hand? Wann berühren wir eine Hand? Gewiss bei einer Begrüßung zur
Weitergabe unserer aktuellen Grippeviren. Aber eine geöffnete Hand? Eine
geöffnete Hand ist fast schon ein Archetyp. Wir zeigen an, dass wir keine Waffe
haben und dass wir also nichts Böses im Schild führen. Wir ergeben uns. Wir
gehen mit der geöffneten Hand auf einen anderen Menschen zu: um ihn zu berühren.
Die Ohrfeige ist hier die Ausnahme, die wir aber an der Handspannung vorab
erkennen.
Die Hand von
„Hautnah“ ist eine harmlose Hand mit erzählerischen Linien. Berühren wir die
Fingerspitzen, dann stellt sie Kontakte her: zu Augen, zum Mund, zur Körperoberfläche,
zu ihren Erfindern und die Hand bedankt sich auch. Sie gibt und nimmt dafür
unsere Gefühle. Letztendlich werden w i r berührt.
Und da sind
noch die Spurensicherungen von Elisa
Luzzi im Bermuda-Dreieck von Toaster, Geschirrspüler und Fernseher. Da ist
noch das Aneinander-Vorbei-Reden im SMS-Austausch bei Mo (Andreas Schlosser) und Soul (Robert
Baumgartner), da ist noch die prächtige Arbeit von Rosemarie Korth über die Zeit. Da ist noch das genaue Hinschauen
von Richard Bojdol in seinen
Fotografien. Da gibt es noch den Beitrag zur „Wahrnehmung“ von Stefanie Rumpelt und das Schiebe-Puzzle
von Petra Landsperksy und Nadine Müller und die
Grafik-Design-Kompetenz ausweisenden Arbeiten von Thorsten Mortag und Stefanie
Rumpelt.
Und nicht zu
vergessen der Dozent Frederick Bunsen,
der Ko-Autor von Niklas Luhmann und weltweit vertretene Maler, dem es
offenkundig gelungen ist zum aktiven Beobachten zu führen. Und wer bewußt
beobachtet findet darin die Grundlage auch zu eigenen klaren Formulierung und
die sind hier durchgängig geglückt.
Technik und
Technikfolgenabschätzung müssen immer Hand in Hand gehen. Das Humanum zu
bewahren ist eine umfassende und allseits zu erbringende Leistung. Die Kunst
kann das Bewußtsein auf dem Weg von der Idee in die Wirklichkeit mit Hinweisen
füttern und damit dazu beitragen, dass wir uns nicht selbst aus den Augen verlieren.
Das diese Gefahr besteht: erhellt nicht etwa aus düsteren Prognosen ewig Rückwärtsgerichteter,
sondern aus realem Geschehen: „In den USA beging ein Mann Selbstmord, weil er
die Rechnungen für seine tagelangen Aufenthalte im Netz einer kalifornischen
Mailbox nicht mehr bezahlen konnte. Die Kündigung seines Netzzuganges durch die
Betreiberfirma empfand er als Kündigung seines Lebens und er beendete seine
Existenz auch on-line, indem er alle seine Diskussionsbeiträge löschte.“(GWPHIL
163)
Die neuen
elektronischen Medien haben wie alle anderen kulturellen Leistungen den
Doppelaspekt: Werk des Menschen zu sein und zugleich eine eigenständige Dynamik
zu entfalten, die auf den Menschen formend zurückwirkt. Der selbstbestimmte
Umgang mit ihnen erfordert, dass wir uns darüber klar werden, welche Weltsicht
sie uns vermitteln und wie sie auf unser Selbstverständnis wirken.(Burkard,
Geisen)
Dabei ist es
wichtig, prävirtuelle Fähigkeiten zu schärfen und die Unterscheidung zwischen
real und virtuell zu fällen, so lange dies noch möglich ist. Dass dies mit
dieser Ausstellung an einem Ort der Telekommunikationstechnik geschieht: stimmt
optimistisch und realtiviert die Gesellschaftform der te-com als „Gesellschaft
mit beschränkter Haftung“.
Dennoch: Der
Eintritt in eine alltägliche Ewigkeit und die Auflösung der uns bekannten Welt
hat längst begonnen und höchstens ein Systemfehler kann diese Entwicklung noch
bremsen.
Die
Projektgruppe hat formal sauber, kritisch und traditionsbewußt gearbeitet und
den Satz von Jörg Immedorf bestätigt: „Ein Künstler ist kein Kopf voller
Ölfarben, die er mit sich rumschwappt.“ Das wird jetzt auch Christiane Biebel mit ihrer Performance zu einem Text von John Cage beweisen.
©
29. 09. 2000