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Aus: Bielefelder Stadtblatt vom 30. September, 1990, S.10 Im Gespräch
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Wie dem Künstler, der die
Welt sichtbar machen will, die Welt immer wieder unsichtbar wird: Ein
Gespräch zwischen Niklas Luhmann, Frederick Bunsen und Dirk Baecker. |
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»Sehr
geehrter Herr Prof. Luhmann ...« Ein ungewöhnliches Leserecho, das eines
Tags auf dem Schreibtisch des bekannten Bielefelder Soziologe landete: Nach
Veröffentlichung eines Aufsatzes über Kunst hatte ihm ein Maler aus der Nähe
von Stuttgart geschrieben, Frederick D. Bunsen. Ein Leserecho, aus dem sich
ein angeregter Diskurs zwischen einem Künstler und einem Wissenschaftler
entwickelte, der nun auch in einem Buch Eingang gefunden hat. In
.Unbeobachtbare Welt«, dieser Tage im Verlag Cordula Haux (Bielefeld) erschienen,
haben Luhmann und Bunsen sowie Dirk Baecker über Kunst und Architektur
geschrieben und zusammen über die Frage debattiert: Wie ist das Verhältnis
von Kunst und Welt zu erfassen? Auszüge
aus der auch im Rundfunk gesendeten Diskussion. |
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Dirk Baecker: Wir wollen versuchen,
einen soziologischen Standpunkt einzunehmen, von dem. aus sowohl Kunst wie
auch Ästhetik in Distanz gerückt werden und man Kunst und Ästhetik .auf eine Weise beobachten kann, die
zur gewohnten Blickrichtung der Ästhetiktheoretiker und vielleicht auch der
Künstler quer steht. Im Zentrum unserer Überlegungen soll die Frage stehen,
ob man sagen kann, daß sich im Verhältnis der Kunst zur Welt ein Übergang von
dem, was man vielleicht Objektkunst, zu dem, was man Weltkunst nennen könnte,
vollzogen hat. Um anzudeuten, in welchen Problemen man
landet, wenn man über diese Frage nachdenkt, kann man an ein Beispiel von
Ernst Gombrich erinnern, der einmal die Frage gestellt hat, warum es
eigentlich einem Picasso unmöglich ist, ein Steckenpferd zu machen, das von
einem Kind oder von Eltern, die einem Kind ein Geschenk machen wollen,
tatsächlich als Steckenpferd betrachtet wird. Warum ist all das, was Picasso
macht, selbst wenn es den elementarsten Nutzen haben soll, selbst wenn es ein
Spielzeug sein soll, sofort in irgendeiner Art und Weise Kunstgegenstand?
Warum wird es sofort daraufhin betrachtet - ob möglicherweise Picasso
ironisierte, was ein Steckenpferd ist, oder veränderte, was ein Steckenpferd
ist? Offensichtlich findet sich in diesem Verhältnis von Picasso zu einem
Steckenpferd oder, genauer gesagt, im Verhältnis eines Betrachters, von uns,
zu dem Steckenpferd von Picasso irgendeine Irritation, irgendeine besondere
Einschätzung des Umgangs des Künstlers mit Objekten. Offensichtlich gibt es
in dem Moment, in dem Picasso ein Steckenpferd konstruiert, einen anderen
Zugang zur Welt und zu dem, was Objekt in der Welt sein kann, als wenn das
ein Kinderspielzeughersteller macht. Irgend etwas ist mit diesem Steckenpferd
von Picasso passiert, das vielleicht durch diese Formel: »Kunst ist nicht
mehr Objektkunst, sondern Weltkunst«, beschrieben werden kann. Was ist das
für eine Welt, von die der Soziologe ausgeht, und was ist das für eine Frage,
die der Soziologe stellt, wenn er fragt, ob der Künstler Aussagen über die
Welt treffen kann? Niklas Luhmann: Ich möchte vor allem
betonen, daß es sich um eine historische Angelegenheit handelt, daß wir also
in der Unterscheidung von Objektkunst und Weltkunst einen historischen Übergang beschreiben. Und für einen
Soziologen hat das zu tun mit der modernen Gesellschaft. Er würde also die
Objektkunst einer traditionellen Gesellschaft und die Weltkunst, was immer
man darunter verstehen will, der modernen Gesellschaft zuordnen. Es geht also
nicht nur um soziologische Theorien, sondern um die Beobachtung der
Gesellschaft im Hinblick auf das, was für sie Objekte bzw. Welten sind. Und
da liegt schon im Beispiel des Steckenpferdes ein erster Schlüssel: daß das
Steckenpferd offenbar nicht nur ein Gebrauchsobjekt ist, das sich im Hinblick
auf die Unzerbrechlichkeit beim Spielen und auf die Ungefährlichkeit für die
Kinder beurteilen ließe, sondern daß es etwas mehr sagen will über die Welt.
Und die Frage ist dann natürlich: Worin steckt der Weltbezug oder wie müssen
wir .Welt« denken, wenn wir letztlich doch immer nur Objekte beobachten? Dirk Baecker: Können Sie andeuten,
was als »Welt« zum Problem wird, wenn ein solches Steckenpferd von einem
Künstler konstruiert wird? Niklas Luhmann: Ja, ich denke, daß dieser
Weltbegriff irgend etwas Unsichtbares oder Unbeobachtbares, in der alten
Sprache würde man vielleicht sagen: etwas Geheimes, beibehält. Es ist nicht
ein Objekt, das man bezeichnen könnte, sondern es ist ein Kontext, ein leerer
Raum, ein unbeschriebenes Blatt, ein Zustand, den man ausfüllen soll und den
man nicht zu fassen bekommt, der aber Spielraum gibt für die eine oder die
andere Formung der Welt. Es ist also Immer ein Hintergrundsbegriff. Dirk Baecker: Das würde bedeuten,
Herr Bunsen, daß der Künstler, der nun irgend etwas konstruiert,
offensichtlich ein Problem hat, wenn er ein Objekt in eine Welt hineinbringt.
Was passiert mit der Welt, der der Künstler sich gegenüber sieht, in dem
Moment, in dem er etwas herstellt?
Ein Kunstgegenstand setzt für mich voraus,
dass man praktisch nicht darauf hinzielt, ein Steckenpferd zu machen, sondern
daß ein Steckenpferd eventuell zufällig aus dem entsteht, was er gerade
macht. Zum Beispiel habe ich neulich eine Riesenantenne gesehen und aus dem
Sperrmüll geholt und plötzlich gemerkt, daß sich die Antenne zu einem
Gerippt; biegen läßt. Dann ist da keine Antenne mehr, sondern die Antenne ist
deutlich zu einem Gerippe, zu einer Wirbelsäule geworden. Und jetzt setze ich
plötzlich mit meinen Vernunftsätzen an, um zu unterscheiden oder zu
entscheiden, wie es weitergeht. Möchte ich, daß irgend so ein abstraktes
Gerippt; herauskommt, oder deute ich Ohren an, damit es irgendwie wie ein
Pferd aussehen könnte. Es ist ein Entstehungsprozess, ein Spiel mit
Versuchen, aber ich wusste bestimmt nicht schon vorher, daß ein Pferd daraus
wird oder werden sollte: Niklas Luhmann: Sie machen etwas
anderes als ein Antennenbenutzer erwarten würde, aber wieweit ziehen Sie
jetzt ein Publikum mit? Oder wieweit können sich die Perspektiven des
Künstlers und des Betrachters voneinander entfernen? Sie rechnen natürlich
nicht mit einem Antennenbenutzer: Das Objekt wäre schwer verkäuflich, und man
würde wahrscheinlich auch nichts empfangen, Über irgendwie muß doch in dem
Objekt gleichsam gebucht und verankert werden, was ein Betrachter sehen soll.
Und das muß Ihnen doch irgendwie bei der Gestaltung präsent sein. Frederick Bunsen: Ich merke, daß ein
Reiz schon da ist, daß eine Erwartung unterbrochen wird, daß hieß nicht eine
Antenne entsteht oder entstanden ist, sondern eigentlich eine Wirbelsäule.
Und dies ist für einen Betrachter nachvollziehbar, der offen genug ist. Und
ich freue mich an seiner Freude, daß er von seiner bisherigen Erwartung abgekommen
ist, um diese Seherfahrung zu machen. Für ihn eine neue Erkenntnis. Und das
ist eine Unterbrechung des bisherigen, dessen, was bisher für möglich
gehalten wurde. Niklas Luhmann: Sie haben das Phänomen
der Unterbrechung erwähnt. Das Alltagsbewußtsein muß beiseite geschoben
werden. Als Soziologe würde man darin vielleicht einen Indikator für
Differenzierung sehen. Die Kunst ist nicht mehr eine besondere Raffinesse im
Alltagsgebrauch, ein Alltagsobjekt, auch nicht mehr bloß Dekoration, sondern
sie will offensichtlich etwas anderes. Es wird eine Differenzierung
produziert. Das könnte ja mit dem Ausgangsunterschied von Objekten und
Weltbezug zusammenhangen.
Niklas Luhmann: Er ist auf alle Fälle
eher ungewöhnlich gemeint und hat die Absicht, auf irgend etwas aufmerksam zu
machen, was man alltäglich gar nicht sehen würde, wenn man auf die Gestalt
der Dinge achtet. Es ist also kein Gestaltbegriff. Es geht nicht um die
Frage, ob ein Ding rund ist oder viereckig oder grellfarbig oder
schwachfarbig oder groß oder klein. Sondern mit Form meine ich immer die
Produktion einer Differenz, also einer Grenzlinie. Das kann natürlich ein
Kreis sein oder eine schnell oder langsam, gerade oder gestrichelt
gezeichnete Linie. Aber immer mit dem Effekt, daß es zwei Seiten
unterscheidet. Und mit der Folge, daß man Zeit braucht, um die Grenzen zu
überschreiten, also nur mit einer besonderen gedanklichen oder faktischen
Operation zur anderen Seite kommt. Das ist der Sinn des Formbegriffs, die
Fragen nach Zeit, Differenz und der Einheit eines Zusammenhanges in etwas
unkonventioneller Art zu stellen. Dirk Baecker: Es wird etwas
hergestellt als Form, was dann sogar im Fall eines Dramas oder im Falles
einer Musikkomposition als ein gleichzeitig, simultan wahrnehmbares Gebilde
erscheint. Beim Bild ist das besonders auffällig. Der Künstler mag noch
soviel Zeit verbrauchen, um seine Unterscheidung zu setzen, irgendwann ist
das Bild da und man sieht es in allen seinen Unterschieden gleichzeitig
wahrnehmbar vor sich. Kann man sich das als Künstler vorstellen, daß man
etwas durch eine ganze Reihe von Unterscheidungen herstellt und gleichzeitig
daran denkt, daß der Betrachter hinterher all das, was man in einem langen
Prozeß gemacht hat, als gleichzeitig Vorhandenes sehen wird? Frederick Bunsen: Wenn ich das richtig
verstehe: ja, aber nur bedingt. Es setzt eine gewisse Erziehung oder sagen
wir Vorkenntnisse voraus. Man kann nicht einfach von Punkt eins hereinkommen
und sagen: jetzt verstehe ich das. Ein gewisses Training ist dazu notwendig.
Ich verstehe Formen eher als eine Gesamtheit. Sicherlich gibt es diese Innen-
und Außeneingrenzung, aber es gibt auch eine Dreidimensionalität. Wenn ich
mich auf meinen Prozeß beziehe, dann baue ich eine Schicht auf, eventuell,
und nehme dann diese Schicht selbst wieder in Angriff, um wieder eine
Korrektur beziehungsweise eine Veränderung vorzunehmen. Es gibt dabei einen
gewissen sandwitching- Effekt, ein gewisses layering. Niklas Luhmann: Wir müssen uns aber
trotzdem die Frage stellen, ob es eigentlich die Intention ist, dem
Betrachter das ganze Werk sozusagen in einem Blick vorzuführen; ob man aus
dem Endprodukt dann die Zeit wieder herausziehen kann oder sagen kann: Das
ist als Ganzes zum Beispiel schön oder gelungen oder interessant oder was
immer. Wir müssen uns fragen, ob das eine Modellvorstellung ist, die noch
adäquat ist, oder ob man nicht den Betrachter selbst notwendig in die Herstellungssequenz
des Kunstwerkes einweisen müßte, auch ihm also die Zeit zumuten müßte, von
einem zum anderen zu gehen und dabei immer wieder zu etwas zu kommen, möchte
ich beinahe sagen, also immer wieder Sinn zu finden und keine leeren Plätze
oder keine externen Referenzen, wo er nun sieht, aha, das kostet so und so
viel - oder welche Bedeutung auch immer er dann von außen hereinziehen müsste
? Er müßte also im Bild kreisen, kursieren können oder in der Geschichte
immer neue Interpretationen wiederfinden können, aber eben nicht alles auf
einmal sehen müssen. Dirk Baecker: Sie haben die These
formuliert, daß Formen die Welt sowohl sichtbar wie auch unsichtbar machen.
Was ist damit gemeint? Niklas Luhmann: Es ist gemeint, daß man
innerhalb der Form, oder den Weisungen der Form folgend, das eine oder das
andere zu sehen oder, zu hören bekommt. Daß man also immer in der Welt ist,
nie die Welt als Objekt vor sich hat, aber auch nicht außerhalb der Welt sein
kann. Man sieht also durchaus etwas Bestimmtes, es soll nichts Nebulöses oder
Geheimnisvolles gemeint sein. Was aber nicht sichtbar wird, ist genau die
Einheit der Form oder das, was die Differenz ausmacht zwischen der einen oder
der anderen Seite oder dem Vorher und dem Nachher einer Operation. Der
Vollzug macht etwas sichtbar und zugleich unsichtbar, Mit diesem Formbegriff
kommt man also auf eine Vermittlung zwischen Objekt und Welt. Man malt
Objekte so, daß etwas mehr drin ist als nur sie selber. Aber das, was mehr
drin ist, ist zugleich verborgen, man kann es nicht wie ein Objekt behandeln;
Das ist die Idee, die dahinter steht. Dirk Baecker: Die Welt wird durch
Formen beobachtbar. Niklas Luhmann: In der Welt werden
Beobachtungen so gesteuert; daß die Welt sich zurückzieht in das, was nicht
beobachtbar ist. Und das Ist einerseits der Beobachter selber, der sich
selbst natürlich verobjektivieren kann. Aber wie man aus der Philosophie
weiß, gelingt ihm das nur, indem er sich wieder hinter sich selber versteckt.
Die Welt selbst, das heißt die letzte Einheit einer jeden gebrauchten
Unterscheidung., ist wiederum Im Moment unsichtbar. Man kann sie erneut
bezeichnen, aber immer nur mit einer neuen Operation, mit einer neuen
Unterscheidung, mit neuen Unsichtbarkeiten. Dirk Baecker: Ist es dann denkbar,
das war eine unserer Ausgangsfragen, daß die Kunst Aussagen über die Welt
trifft? Niklas Luhmann: Hier ist, glaube ich,
die Sprache nicht ganz auf der Höhe dessen, was zu sagen wäre. Wir müssen die
Sprache wieder heransteuern an unsere Aussageabsichten. Ich würde also ja und
nein antworten. Einerseits vollzieht sich alles, was gesehen oder gesagt
werden kann, in der Welt, und immer sind es in diesem Sinne Aussagen über die
Welt. Aber eben nicht über die Einheit der Welt oder über das, was man nie
verlassen kann. Und auch nicht über
das Gesamte. In diesem Sinne richtet sich die Theorie gegen holographische
Ansätze, wie sie heute im Stile des New Age angeboten werden; Irgendwie sei
in allem Einzelnen eine Spur des Ganzen zu finden, irgendwie sei jedes
Element ein Teil, in das das Ganze »eingeschrieben« sei. Der Formbegriff ist
explizit gegen eine solche holographische New Age-Mystik gesetzt. Dirk Baecker: Dann geht es ja
offensichtlich viel stärker um den Prozeß der Beobachtung als um das
Herstellen und Bedeutendmachen eines Objektes welcher Art auch immer. Niklas Luhmann: Ja, das Korrelat zum
Weltbegriff liegt im Beobachtungsbegriff. Der Beobachter ist wieder jemand,
der eine Unterscheidung handhabt und sich selber nicht sieht, wenn er beobachtet.
Und die Kunst wird begriffen als eine Steuerung von Beobachtungen; auch eine
Steuerung der Beobachtung der Beobachtung anderer. Man will sehen ( was der
Künstler beobachtet hat, als er so und nicht anders entschieden hatte, und
umgekehrt will der Künstler die Beobachtung des Betrachters lenken. Dirk Baecker: Man findet gegenwärtig
häufig den Eindruck formuliert, daß die ästhetische Theorie sich im Begriff
der Mimesis festgefahren habe und daß das die letzte und große Begriff sei, den Adorno und seine
ästhetische Theorie noch anzubieten hätten, um ästhetische Theorie zu
betreiben. Können Sie sich vorstellen, den Grundbegriff Mimesis gegen einen
Grundbegriff Kommunikation in der ästhetischen Theorie auszuwechseln?
»Unbeobochtbare Welt - Über Kunst und Architektur«, mit
den Beiträgen »Weltkunst« von Niklas Luhmann, »Beobachtet
werden« von Frederick Bunsen und »Die
Dekonstruktion der Schachtel: Innen und Außen in der Architektur« von Dirk
Baecker, sowie
der drei Autoren »Gespräch über Kunst« Verlag
Cordula Haux, Bielefeld 1990, 120 S. mit 9 Abbild., 38,- DM. |
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