"Wege-Zeichen-Zeugen" für Frederik Bunsen

Michael Krämer 2007

Bunsen: Poster von 2007

Beitrag Helge Bathelt zum selben Posterbild
Beitrag Frederick Bunsen zum selben Posterbild
Beitrag Catharine Raitz zum selben Posterbild

Zum Autorenverzeichnis
Zum Hauptverzeichnis


Ich weiß nicht. Zeichnen ist ein Wunderwort. Es hat mit Zeigen zu tun. Mit Zeihen. Wer gezeichnet ist, mag Kain sein, manchmal aber auch ist der Gezeichnete ein großer, ein Mensch der Geschichte macht oder spricht.

Frederik Bunsens Zeichnungen sind eher Wegzeichnungen, allerdings sind es eben keine geraden Wege. Und die Zeichnungen sind keine Wegweisungen. Zeichen bekommt eine neue Bedeutung: Es zeigt nichts, es ist einfach.

Und wer heute in Zeichen spricht, wer zeigt und weiß, muss ratlos stehen vor solchen Zeichnungen. Dabei ist auch die sprachliche Welt so weit nicht entfernt von dieser Art Kunst.

Kunst? Werden manche fragen und sich sagen, das sei nun eben doch eher ein hingeworfenes Zeichnen, ein Zeichen, das bedeutungslos sei eben und nicht nützlich für irgendetwas - ja, das werden sie sagen.

Und sie haben recht, die Kritiker, es ist für nichts, und niemand wird sich das ins Wohnzimmer hängen und bestaunen. Denn es wäre tägliche Irritation. Es wäre ja nicht schön. Es wäre ein Anblick, den wir nicht wollen.

Zeichnen, so sage ich, ist ein Wunderwort. Weil es zeigt, selbst dort wo es nicht mehr zeigen will. Und das Wort sagt es und will es so, und es geschieht. Weil alles was Worte wollen, geschieht.

Dass jemand Striche Zeichnung nennt, macht nun einmal die Striche zu Zeichen. Nichts anderes war seinerzeit das Menetekel an der Wand, das den Untergang eines Reiches verkündete und das unlesbar war bis es von einem Propheten entziffert wurde.

Deswegen ist Zeichnen immer noch ein Wunderwort, weil es wortlos Worte fordert und auslöst, wie hier.

Die Ratlosigkeit vor dem Gezeichneten - es sagt - so sagte ich - nichts - wird zur Ratlosigkeit vor dem was Zeichen insgesamt sein mögen: Nichts als sie selbst. Und diese gezeichneten Zeichen stehen im Kontrast zu einer visuellen Welt voller Zeichen, die alle behaupten selbst etwas zu sein und etwas zu sagen.

Die Geschwätzigkeit der Alltagszeichen, der Werbung zumal, fordert seine Antipoden geradezu heraus. Jede noch so schlichte Werbe-Metapher will zu Handlung verführen: Kauf mich...

Kunst, die Zeichnungen von Bunsen als Beispiel, verführt zu nichts, außer zum Sehen. Diese Art von Kunst will nichts Wegweisendes sein im Sinn einer utopischen Handlungsanweisung oder im Sinn einer alltagskräftigen Tu-das-so-Weisung. Und gerade deswegen gehört sie in die Gegenwart, genau das macht nach aller Erfahrung ihre eigene Sinnhaftigkeit aus. Diese Kunst will einfach nur da sein, wahrgenommen werden und heißen, was sie ist: Zeichnung.

Propheten waren Zeichen- und Wort-Künstler, Performance-Künstler und Dichter. Da hatte das Zeichen noch Bedeutung. Da gab es noch kein visuelle Überfütterung und keinen Bilderverdruss.

Wer heute malt, muss wohl kritzeln. Wer heute zeichnet, muss den Zeichen misstrauen. Wer heute Bilder ausstellt und darauf Erkennbares liefert, ist an die komplexe Visualität der Gegenwart verraten - es sei denn er wüsste sie zu unterlaufen.

Es ist auch in der Literatur nicht anders: Natürlich verkaufen sich Bilder und Bücher gut, die sich erkenntlich zeigen. Wir fühlen uns wohl im Bekannten. Das ist Menschensache und hat etwas mit Heimatlichkeit zu tun.

Jegliche Kunst aber macht uns zu Emigranten, und das ist schmerzhaft. Das alte deutsche Wort für Ausland lautet Elend. Und dorthin führt uns die Kunst. Wegweiser ist sie nicht, und trotzdem landen wir auf ihren Wegen dort wohin wir nicht wollten: In einer ungesicherten Sphäre, in und bei uns selbst.

Zeichnen - das ist ein Schreckenswort: Wohin es führt? In die Zeichenlosigkeit, in die Wortlosigkeit, ins Ungefähre.

Dort aber ist es gefährlich. Und ob wir dabei Erfahrungen machen, die auch vom Wort her aus einer anderen Welt stammen, ist ungewiss.

Aber wir fahren auf den Wegen der Kunst weit. Und bisweilen kommen wir wirklich bei uns an. Die Kurven und Bögen in den Zeichnungen von Frederik Bunsen schreien schon wieder: Wir wollen Bedeutung.

Lassen wir das. Zeichnen ist heute Zeugnis davon, dass es nichts zu zeigen gibt. Und wo jemand behauptet, etwas zeigen zu können, droht Tod, droht Verwerfung, droht mindestens Ideologie.

Am Ende steht nicht der Ausgezeichnete, am Ende steht Kain, der Gezeichnete. Und das Zeichen auf seiner Stirn war nicht lesbar, aber deutlich. Nicht deutbar. Und einfach da. Wirksam.


Top


© 2001